Aus der Ankündigung des Seminares:
„Die Situation mit dem Wolf spitzt sich derzeit zu. Übergriffe, auch auf geschützte Weidetiere, mehren sich, vor allem im Norden und Osten Deutschlands. Die EU lässt z.Z. den Erhaltungszustand des Wolfes überprüfen.
Wie gehen wir damit um? Was muss geschehen, um die zunehmenden Konflikte zu entschärfen? – Diese Fragestellung beschäftigt nicht nur den ÖJV bundesweit. Ein erster Schritt zur Klärung ist das anstehende Seminar, zu dem wir betroffene Weidetierhalter (kurze Statements zu Beginn) und wildbiologische Fachleute (Referate ca. 30 – 45 Minuten) eingeladen haben.“
Die Vorträge und Bilder von der Veranstaltung sowie Presseberichte werden sukzessive hier auf unserer Homepage veröffentlicht.
Referenten:
Zusammenfassung des Seminares: Wohin geht es mit dem Wolf?
Im Präsenzseminar des ÖJV Bayern sind wir dieser Frage nachgegangen – ein spannendes Unternehmen. Doch der Reihe nach.
Nach der Begrüßung durch den ÖJV-Vorsitzenden Dr. Wolfgang Kornder sollte eigentlich der Erfahrungsbericht von Norbert Böhmer sozusagen als authentischer Auftakt eines betroffenen Weideviehhalters folgen. Staus auf der Autobahn verhinderten dies aber, so dass René Gomringer den Anfang übernehmen musste.
René Gomringer (Weideschafhalter, ehemals Geschäftsführer des Landesverbands Bayerischer Schafhalter): Der Wolf - eine neue Herausforderung für Weidetierhalter
Nach einer kurzen Vorstellung – Gomringer ist selbst Weidetierhalter, war beruflich ein Arbeitsleben lang mit Schafen/Weidevieh beschäftigt und arbeitet als Rentner noch im LIFEstockProtect-Projekt mit – begann er mit seinen versierten Ausführungen zum Herdenschutz.
Neu ist die Problematik eigentlich nicht, denn in den 14000 Jahren Nutztierhaltung mussten sich die Tierhalten selbstverständlich mit dem Wolf auseinandersetzen, bis er vor ca. 150 Jahre als Nahrungs- und Jagdkonkurrent bei uns ausgerottet wurde. Nun ist er wieder da und der Umgang mit ihm muss neu erlernt werden.
Da er eine Zeit lang ausgerottet war, ist er bislang streng geschützt und trifft auf eine weitgehend unvorbereitete Weidetierhaltung. „Viele Tiere – weniger Personal“. Das ist die Situation der Weidetierhaltung. Dass die Arbeit und die Bedeutung der Beweidung aufgrund der landschaftspflegerischen Arbeit allseits gelobt wird, ändert nichts daran, dass die Unterstützung und die Situation unbefriedigend sind.
Bei der Weidetierhaltung gibt es unterschiedlichste Haltungsformen, z.B. mit und ohne Behirtung, und oftmals schwierige Rahmenbedingungen, z.B. hohe Arbeitsbelastung, zerschnittene Weidegebiete, dichte Besiedlung. Das alles führt dazu, dass das Weidesystem sehr fragil ist. Und da kommt der Wolf dazu. Dass deshalb auch extreme Reaktionen angedacht werden (z.B. die 3S-Lösung: Schießen – Schaufeln – Schweigen) ist nicht verwunderlich. Aber solche Vorgehensweise sind keine Lösung.
Der wichtigste Lösungsansatz ist Herdenschutz. Dabei geht es ganz einfach darum, Weidetiere als Beutetiere unattraktiver als Wild zu machen. Eine 100% Sicherheit gibt es dabei nicht. Aber mit Zäunen (fest und mobil), Schutzhunden, Behirtung und Management lässt sich vielem vorbeugen.
Neu ist der Einsatz von Herdenschutzhunden neben den Hütehunden. Letztere haben die Aufgabe, die Herde zu lenken, erstere dienen ausschließlich dem Schutz. Bei den Schutzhunden gibt es viele Rassen, mit z.T. unterschiedlichem Verhalten und unterschiedlichen Arbeitsweisen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es am sinnvollsten ist, einsatzfähige Hunde-Teams kaufen, also bereits erfahrene und ausgebildete Hunde. Hierbei wurde in den letzten Jahren mit Hunden, die in Italien gezüchtet werden, sehr gute Erfahrungen gemacht. Herdenschutzhunde laufen eigentlich der Herde voraus. Sie sollen ja abklären, ob Gefahr droht. Das kann in unseren dicht besiedelten und oftmals kleinteiligen Gebieten problematisch werden. In Spanien, wo der Kontakt Wölfe – Herde nie abgerissen ist, sind 15 und mehr Herdenschutzhunde bei einer Herde dabei und umkreisen z.B. nachts die Herden. Bei uns in Deutschland ist ein Einsatz außerhalb des Zauns noch nicht vorstellbar.
Bei der Behirtung muss man zwischen Hirten/Hirtinnen und Schäfern/Schäferinnen unterscheiden. Ein Hirte ist oft nur kürzere Zeiten für Stunden bei der Herde, Schäfer hingegen sind mit dieser ganztags unterwegs. Ebenso gibt es Unterschiede zwischen Koppeln, Einzäunungen auch zum Fressen, und Pferchen, die nur zum Ruhen da sind, z.B. Nachtpferche. Das Weidemanagement ist ein kompliziertes System, das mit der Flächenauswahl anfängt und über die Vegetation bis zur Witterung reicht. Dabei kann man die Formel aufstellen: Sauwetter = Wolfswetter, denn dann sind die Wölfe umso schwerer auszumachen, und die Wölfe wissen das, - eine Analogie zu den Wildschweinen. Bei der Behirtung einer Herde muss dann gezielt eine Weideführung ins Auge gefasst werden. In alpinen Regionen der Schweiz wurden schon vor der Rückkehr der Wölfe regelrechte Weidesysteme entwickelt.
Und weiter kommt das Herdenmanagement (Rasse, Altersstruktur, Auswahl bestimmter Tiere wie Mutterschafe, die gesondert gehalten werden …) dazu.
Die Aufgaben sind vielfältig. Und wenn bei alledem noch Wolfsangriffe geschehen, ist die Grenze der Belastbarkeit schnell erreicht.
Dazu kommen noch rechtliche Herausforderungen: Das fängt bei der vermeintlichen Gefährdung von Menschen durch Herdenschutzhunde an, geht über die Aufstellung von elektrische Weidezäunen weiter und hört bei den Vorschriften zur Hundehaltung auf. Es fehlt das Recht auf Entschädigung, auf Zuschüsse zur Prävention auf baulicher Veränderungen im Außenbereich, auf Haftungserlass bei Schäden an Dritten z.B. durch ausgebrochene Weidetiere bei einem Wolfsübergriff. Gomringer im Originalton: „Rechtlich stehen wir saublöd da!“
Wirtschaftlich bedeutet der Herdenschutz einen erheblichen finanziellen und zeitlichen Mehraufwand. Herdenschutzhunde kosten in der Anschaffung und im Unterhalt (auch im Winter, wenn die Herden stationär untergebracht sind) zusätzlich Geld. Und elektrische Zäune müssen fachgerecht aufgebaut, im Bodenbereich regelmäßig ausgemäht und kontrolliert werden. Je weniger die Zuschüsse langfristig gesichert sind, desto schwieriger wird es, nötige Schutzmaßnahmen umzusetzen.
Dazu kommt eine gewisse gesellschaftliche Herausforderung, die im Extremfall durch die damit verbundenen Einschränkungen zu Anfeindungen führen kann: das Mehr an teils elektrifizierten Zäunen oder der Einsatz von bedrohlich wirkenden Herdenschutzhunden. Das romantische Bild vom Schäfer bekommt hier Schlagseite.
Gomringer formulierte als Fazit:
Und abschließend formulierte Gomringer: „Wir kriegen das vielleicht hin!“
Norbert Böhmer: Ein direkt Betroffener
Norbert Böhmer hält auf seinem landwirtschaftlichen Bio-Betrieb mit 48 ha in Oberfranken Rinder. 2009 hatte er einen ersten Riss, ein Kalb. Bis dahin arbeitete er mit normalem Herdenschutz. 2011 wurden dann wieder zwei Kälber gerissen, so dass er mit Unterstützung des Amtes und dann der LFU den Herdenschutz ausbaute.
Das war eine Umkehr der bisherigen Verhältnisse: Statt Rinder einzuzäunen damit sie nicht weglaufen, musste nun gezäunt werden, damit von außen nichts mehr hereinkommt. Doch der Zaun alleine ist keine Lösung, er schütz nach Böhmers Meinung nur zu 20%. Er sah sich deshalb in Brandenburg die Arbeit mit Herdenschutzhunden bei Schafen an. Reisen in die Schweiz und schließlich nach Spanien folgten. In Spanien fiel sozusagen der Groschen und er schaffte sich 2016 Pyrenäenschutzhunde an.
Nach Wolfsangriffen oder wenn Wölfe in die Nähe kamen, war die Rinderherde „total durch den Wind!“. Aber Versuche in der Schweiz zeigten, dass (bei richtiger Eingewöhnung) Herdenschutzhunde den Rindern Sicherheit gaben.
Sein Versuch mit jungen Herdenschutzhunden ging schief. Die Welpen ließen irgendwann die Rinder nicht mehr in den Stall zum Tränken. Mit alten, bereits eingearbeiteten Hunden ging es hingegen gut. Trotzdem mussten einige wenige Kühe entnommen werden, weil sie mit den Hunden nicht zurechtkamen.
2019 startete er den Versuch Weiden in Herdenschutzweiden mit Festzäunen umzubauen. Wegen relativ vieler Tore, die aufgrund der Wege nötig waren, und wegen des Zaunbaus im steilen Gelände, stiegen die Kosten weit über den staatlichen Förderrahmen an. Wikiwolfes, eine Initiative, die auf Freiwilligenbasis arbeitet, hat dann beim Zaunbau geholfen und diesen ermöglicht - während der Coronazeit mit den Ausgangsvorschriften eine zusätzlich schwierige Angelegenheit.
Zäune, die unter Strom stehen, wachsen schnell ein und sind dann ungewollt geerdet und verlieren ihre Schutzfunktion. Deshalb müssen sie regelmäßig kontrolliert und gemäht werden. Das ist ein großes Problem, das arbeitstechnisch kaum zu leisten ist.
Der Schritt, die Rinderherden seit 2016 mit Hunden zu schützen, erwies sich im Nachhinein als richtig. Die Herden sind inzwischen – bedingt durch die Schutzhunde - sehr ruhig.
Dr. Frank-Uwe Michler (HNE Eberswalde, Fachbereich Wald und Umwelt. (Dozent für Wildbiologie und Wildtiermanagement): Raumverhalten von Wölfen / Interaktionsverhalten zwischen Wölfen und Rotwild
Michler skizzierte zunächst die breit angelegte Wolfsforschung der Hochschule in Eberswalde, wo er arbeitet, und stellte einige grundlegende Methoden der säugetierkundlichen Freilandforschung vor.
Zunächst skizzierte er drei aktuelle Wolfsprojekte der HNE Eberswalde:
Interaktionsverhalten Wolf – Rotwild, Interaktionsverhalten Wolf – Weidetiere, Reaktionsverhalten von Wölfen auf Menschen.
Welche Beutetiere?
Für die Untersuchungen zum Interaktionsverhalten zwischen Rotwild und Wölfen war es wichtig zu klären, ob Rotwild im Gebiet auch tatsächlich als Beutetier genutzt wird. Hauptanteil der Wolfsnahrung ist das Rehwild (45% Biomasseanteil), dann folgen Rotwild/Schwarzwild mit je über 10% der Biomasse. Als eine Besonderheit kam im Untersuchungsgebiet noch die regelmäßige Nutzung von Nutrias hinzu (8 % Biomasseanteil). Das untersuchte Rudel ernährte sich während des Untersuchungszeitraums ausschließlich von Wildtieren, Nutztierrisse konnten nicht dokumentiert werden.
Das Nahrungsverhalten wurde über koproskopische Analysen sowie über Rissanalysen mit Hilfe von sendermarkierten Wölfen untersucht, wobei die aufgefundenen Risse zusätzlich mit Wildkameras überwacht werden. Die mittlere Nutzungsrate der von gerissenen Beutetieren war in der Regel sehr hoch (>80 %). Als Hypothese wurde diskutiert, ob sehr hohe Beutetierdichten dazu führen können, dass die Risse nicht mehr vollständig verwertet werden.
Methoden
Das Hauptuntersuchungsgebiet für das Wolf-Rotwild-Projekt befindet sich im Osten von Sachsen-Anhalt. Es handelt sich um eine DBU Naturerbefläche, mit einem hohen Offenlandanteil (Heideflächen). Dort existiert seit über 10 Jahren ein stabiles Wolfsrudel mit sechs bis elf Tieren.
Die Wölfe werden mit verschiedenen Lebendfallen gefangen (Drahtkastenfallen, bewegungseinschränkende Fußhaltefallen), die mit Fallenmeldern überwacht werden. Die gefangenen Tiere werden narkotisiert und unmittelbar am Fangplatz markiert, beprobt und vermessen.
Beim Rotwild erfolgt die Immobilisierung der Hirsche mittels Kaltgasnarkosegewehr, das Kahlwild wird in großen Netzfanganlagen gefangen und unmittelbar nach dem Fang mit Imfpstäben narkotisiert. Die ca. 500 m² großen Fallnetze werden manuell ausgelöst, wenn sich ca. 6-8 Tiere unter den Netzen befinden.
Die Sender verfügen neben dem GPS-Modul über Aktivitäts-, Kontakt-, Temperatur- und Mortalitätssensoren und sind mit einer Drop-Off-Vorrichtungen zum automatischen Abwerfen der Halsbänder versehen. Im Zuge der Untersuchungen wurden bis dato 53 Rothirsche, 32 Weidetiere und 7 Wölfe mit GSM- bzw. Iridium-GPS-Halsbandsendern ausgestattet.
Raumverhalten
Benachbarte Wolfs-Territorien werden regelmäßig von den Senderwölfen aufgesucht, ohne dass es zu offensichtlichen, permanenten Auseinandersetzungen kommt. Möglicherweise führt eine hohe Beutetierverfügbarkeit in Deutschland zu einer höheren innerartlichen Toleranz der Wölfe. Tödliche Auseinandersetzungen zwischen Wölfen, wie man sie aus dünn besiedelten Naturlandschaften kennt, wurden in Deutschland bisher nur im Einzelfall dokumentiert.
Die Territorien haben eine mittlere Flächengröße von ca. 150 km2. Es gibt hier kaum Unterschiede zwischen Fähen und Rüden. Wenn viele Rudel dicht nebeneinander existieren, können die Gebietsgrößen ggf. etwas ausfallen.
Neben den territorialen (etablierten) Wölfen treten regelmäßig auch sogenannte Floater auf – hierbei handelt es sich i.d.R. um junge Tiere, die sich in einer Phase zwischen dem Verlassen des elterlichen Gebietes und der Etablierung eines eigenen Territoriums befinden. Die Floater zeigen ein Raumverhalten mit einer permanenten Raumdrift, ohne aber das Gebiet im Zuge einer unmittelbaren Abwanderung (Dismigration) permanent zu verlassen. Die Tiere belaufen während der Floater-Phasen Streifgebiete, die 5 bis 30 Mal größer sind als die Streifgebiete von etablierten Wölfen,
Eine andere Strategie zeigen junge Wölfe, die das elterliche Gebiet im Zuge einer spontanen Abwanderung (natal dispersal) von einem auf den anderen Tag verlassen und nie wieder zurückkehren. So verließ der Senderrüde ID4 im Alter von 11 Monaten das elterliche Territorium, lief durch ganz Norddeutschland von der Ostsee bis zur Nordsee und etablierte sich nach 62 Tagen bei Danzig in Polen. Der junge Rüde lief im Schnitt 32 km pro Tag (Maximum 97,2 km/Tag) und legte eine Gesamtlaufstrecke von 1.982 km zurück (straight line distance). Dabei überquerte er mindestens 27 mal Autobahnen und durchquerte sechs große Wasserstraßen. In seinem neuen Territorium bei Danzig ist ID4 im dritten Lebensjahr das erste Mal Vater von sechs Welpen geworden. Die Dokumentation möglichst langfristiger Biografien von der Geburt im elterlichen Gebiet über die Adoleszenz, die Abwanderung, die Etablierung eines eigenen Territoriums, die Verpartnerung bis hin zur ersten eigenen Reproduktion (die sogenannte Life History) ermöglicht tiefgreifende Interpretationen des Verhaltens von Wölfen in unserer Kulturlandschaft.
Wie verhält sich das Rotwild?
Wolf und Rotwild bewegen sich zeitlich oft direkt nebeneinander am gleichen Ort. Das Rotwild kann offensichtlich einschätzen, ob es um Jagd geht oder nicht. Zum Raum-Zeitverhalten lässt sich generell sagen: Das Rotwild hat die angestammten Streifgebiete auch bei unmittelbarer Nähe von Wölfen (<100 m) in keinem Fall verlassen. Das dynamische Interaktionsverhalten war ausgesprochen neutral. Häufig übertagten besendertes Rotwild und Senderwölfe in der gleichen Abteilung und lagen mehrere Stunden weniger als 70 m voneinander entfernt.
Dr. Michler untermauerte diese interessanten Feststellungen mit zahlreichen Fotofallen-Bildern.
Prof. Dr. Marco Heurich (UNI Freiburg): Wechselwirkungen zwischen Wildtieren/Weidetieren und dem Wolf
Große Beutegreifer sind in Europa generell auf dem Vormarsch. Die Ausbreitung der Wölfe ist eine richtige Erfolgsgeschichte: seit ca. 2000 haben sich bis zum Jahr 2023 184 Rudel in Deutschland etabliert, davon allerdings ganze 4 Rudel in Bayern! Die Ausbreitung in den bislang wenig besiedelten Gebieten wird mit 635 Jungtieren Fahrt aufnehmen, denn diese haben eine hohe Wanderfähigkeit. D.h. aber: wolfsfreie Zonen sind kaum (nicht) möglich. Wölfe sind sehr anpassungsfähig und kommen letztlich mit ganz unterschiedlichen Habitaten zurecht. Wenn Wölfe ihre Scheu verlieren, geht meist eine Gewöhnung durch unvernünftige Menschen voraus.
Einfluss auf Beutetiere, Jagd und das Ökosystem
Wölfe sind Hetzjäger. Sie testen ihre Beutetiere. Je größer deren Kondition ist, desto höher ist deren Überlebenswahrscheinlichkeit. Vor allem bei großen Beutetieren, z.B. Elchen, ist die Erfolgsrate der Wölfe gering. In einer Untersuchung wurden von 131 Elchen letztlich nur 7 angegriffen und nur 6 davon getötet. Bei den Wapitis im Yellowstone NP erbeuten Wölfe eher die alten Tiere, deren Kondition einfach geringer ist. Damit jagen Wölfe sehr selektiv.
Wölfe erbeuten viele Rehe und selektieren damit den Rehwildbestand. Rotwild wird deutlich weniger erbeutet, ebenso Schwarzwild, vor allem kaum starke und somit wehrfähige Sauen.
Die Wiederansiedlung im Yellowstone NP Mitte der 90er Jahre wurde durch Forschung begleitet, so dass man die Populationsentwicklung sehr gut beschreiben kann: Die Wolfspopulation hatte zunächst einen deutlichen Anstieg, dann ging es wieder nach unten und pendelte sich schließlich ein. Die Wapitis hingegen sanken gravierend ab, weil die Trockenheit zusammen mit einer höherer Bejagung durch Menschen (im Umfeld des NPs) und dem Hinzukommen der Wölfe zusammentrafen.
Trophische Kaskaden und Landscape of Fear?
Veränderungen in der Habitatnutzung der Beutetiere, durch die Anwesenheit der Wölfe, spielen vermutlich eine geringere Rolle als oftmals angenommen. Wichtiger sind die direkten Effekte durch das Töten der Beutetiere. Bei uns werden viele Wölfe überfahren, deutlich mehr als in den naturbelassenen Gebieten Nordamerikas, wo dann die Nahrungsgrundlage entscheidender ist.
Je höher die Produktivität im Lebensraum, desto mehr Rehe gibt es und desto geringer ist der Einfluss der Prädatoren. In wenig geeigneten (produktiven) Räumen ist der Einfluss der Beutegreifer auf die Beutetiere trotz geringerer Population höher. Aber ungeachtet dessen ist der entscheidende Einfluss auf die Populationsgröße des Schalenwildes die Winterstrenge und ggf. die Sommertrockenheit!
Eine europaweite Studie zeigt, dass dort, wo von Menschen gejagt wird, die Rotwilddichte geringer ist als in unbejagten Gebieten. In Bezug auf die Beutegreifer kann man aber sagen: Nur da, wo alle Beutegreifer gemeinsam vorkommen, hat das einen Einfluss auf die Rotwilddichte. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass in Deutschland die 87% der Todesursachen von Wölfen menschliche Aktivitäten sind, v.a. Verkehrsunfälle. In naturnahen Gebieten, wie dem Yellowstone Nationalpark, werden nur 17% der Mortalität durch Menschen verursacht. Dies führt in Mitteleuropa dazu, dass Wolfsbestände gar nicht so hohe Dichten erreichen können, wie es für die Limitierung ihrer Beutetierbestände notwendig wäre.
Die Erbeutung von Nutztieren ist der entscheidende Konfliktpunkt. Wir hatten 2023 knapp 4000 Nutztierrisse in Deutschland. Dabei lässt sich beobachten, dass die Risse von Rindern zugenommen haben. In Ostdeutschland spielen Nutztierrisse für die Ernährung der Wolfsrudel fast keine Rolle, ihr Anteil an der Wolfsnahrung beträgt nur 1,6%, weil genügend Wild da ist. Umgekehrt ist das in Griechenland, wo Nutztiere zu 97% die Nahrungsgrundlage bilden, weil es fast keine wilden Beutetiere gibt. Nutztiere werden vor allem dann gefressen, wenn sie frei grasen und in hoher Dichte vorkommen! Wenn viele wilde Beutetiere vorhanden sind, spielen Nutztierrisse eine geringere Rolle.
An Nutztierrissen sind vor allem junge, wandernde Wölfe überproportional beteiligt. Dies wird durch verschiedene Studien untermauert. Die Bejagung von Wölfen in der Slowakei hatte z.B. keinen Einfluss auf die Nutztierrisse. Gesondert muss man deshalb fragen, was eine selektive Bejagung auf schadenstiftende Wölfe bringt? Letzteres erzielt im Gegensatz zur generellen Bejagung einen deutlichen Effekt, wie z.B. eine Studie aus der Schweiz zeigt. Ungeachtet dessen ist der Herdenschutz in Wolfsgebieten von zentraler Bedeutung. Denn ohne Schutz der Nutztiere kann ein Zusammenleben von Wolf und Mensch nicht gelingen.
Paolo Molinari (Wildbiologe aus Italien, Vorstandsmitglied bei Kora): Leben mit dem Wolf zwischen Schutz, Herdenschutz und Abschuss - ein pragmatischer Ansatz ist notwendig.
Nach seiner Meinung ist „ein pragmatischer Ansatz notwendig!“ Pauschallösungen gibt es nicht. Auch einfache und schnelle Lösungen gibt es nicht.
Das Auslöschen der großen Beutegreifer geschah sehr schnell, die Rückkehr aber auch, vor allem beim Wolf. Wölfe kennen keine Grenzen.
Von daher ist ein Blick auf die drei Managementsysteme im Grenzgebiet Österreich-Slowenien-Italien hoch interessant.
Die Südostalpen mit den drei Ländern Österreich, Italien, Slowenien zeichnen sich durch einen hohen Waldanteil und eine hohe Wildtierbiodiversität aus. 1971 wurde der Wolf in Italien unter Schutz gestellt, 1973 in Slowenien, in Österreich sicher nach 1995 (mit der Mitgliedschaft in der EU). In Italien folgte der Wolf von Süden nach Norden der Ausbreitung der Wildscheine. Seit 2010 ist er reproduzierend in den Alpen. In Italien gibt es ca. 700 Wölfe, in den Alpen ca. 1400. Die Ausbreitung erfolgte exponentiell! Eine Zonierung ist bei der hohen Streckenleistung der Wölfe sinnlos! Und die Rückkehr ist ein natürlicher Prozess!
Mit der Rückkehr im Dreiländereck entwickelte sich in Italien und ähnlich in Slowenien eine ausgeglichene Haltung dem Wolf gegenüber. Anders ist das in Österreich. In Italien und Slowenien gehört der Wolf zur Kultur, in Österreich nicht, dort wird der Wolf eher als Schadtier wahrgenommen In Österreich kennt man deshalb die 4S-Regel: Schauen, schießen, schaufeln, schweigen! In Italien ist aufgrund der EU-Gesetzgebung der Abschuss verboten, in Österreich gibt es Abschüsse mit Ausnahmegenehmigung, in Slowenien bestimmte Abschussquoten. Abschüsse (legal und illegal) begründen sich mit der Angst vor dem Wolf und den Nutztierrissen. Interessant ist deshalb die Betrachtung der Risshöhe: In Italien sind es 3% des geschätzten Nutztierbestandes, in Slowenien 2,9%, in Österreich 5,5%.
Prävention ist entscheidend, wenn sie gut gemacht ist. Slowenien arbeitet hier professionell, Österreich war lange eher beratungsresistent. Präventionsmaßnahmen können die Schäden bis zu 80% reduzieren, allerdings nicht 100%ig. Es sind Anstrengungen nötig, um bessere Lösungen zu finden! Und: Der Wolf kostet was! Und hier muss man fragen: Wo ist die gesellschaftliche Toleranzgrenze? Die biologisch mögliche Dichte ist das Eine, die soziale das Andere!
Jägerschaft, Reaktion?
Im Dreiländereck erfolgen 65% der Risse beim Rotwild. Knochenmarksanalyse als Ausdruck der körperlichen Verfassung zeigen dabei die Fitness der Beutetiere: 80% des von Wölfen gerissenen Rotwildes hat Anzeichen von Schwächung. Das macht deutlich, dass der Wolf eine große Hilfe bei der Gesunderhaltung der Bestände sein kann.
In Slowenien und Italien sind die Jäger aktiv beteiligt. In Slowenien, wo Abschüsse möglich sind, erfolgt die Regulation ohne größeres Aufsehen. In Italien ist es aufgrund des generellen Abschussverbotes schwieriger.
Molinari bringt als Best Praxis Beispiel Life Lynx: Die Jägerschaft in Slowenien war immer dabei, das ist auf Italien übergeschwappt. Im kulturellen Bereich wird dazu viel in den Schulen gemacht, es gibt Interviews, Dokumentationen, etc.. Man braucht einen Aktionsplan, bei dem alle zusammenarbeiten müssen. Das Problem ist die politische Kultur, denn die Politiker sind oft mutlos und kippen je nach Situation um. Jeder muss seinen Beitrag leisten. Ein pragmatischer Ansatz ist notwendig. Kompromisse sind nötig. Der Schwachpunkt ist die Politik.
Schlussrunde (Moderation Eckhard Fuhr): Wie geht es weiter mit dem Wolf?
Die Vorträge waren sehr interessant, das Publikum war auch nach 5 Stunden noch sehr aufmerksam, so dass die Zeit für die Schlussrunde sehr knapp war, Dr. Michler musste zudem zu seinem Zug. Eckard Fuhr, der die Schlussrunde leitete, hatte damit denkbar ungünstige Rahmenbedingungen: Er stellte den in Deutschland von den Umweltministern inzwischen verabschiedeten Lemke-Vorschlag (Abschuss von Wölfen nach Rissen trotz vorgeschriebener Herdenschutzmaßnahmen ohne Genanalyse im Umkreis von einem Kilometer, 21 Tage lang) und den EU-Schutzstatus zur Diskussion.
Statements aus dieser Schlussrunde:
Böhmer
Gomringer
Heurich betont
Molinari
Böhmer
Heurich
Aus der Runde wurden zwei Einsichten formuliert:
Dr. Wolfgang Kornder
(Organisator des Seminares und 1. Vorsitzender ÖJV Bayern)