(Antwort auf eine Anfrage des Alt-Neuöttinger Anzeigers. Der Artikel erschien dort am 6. Mai 2023)
Große Beutegreifer gehören zum Naturhaushalt
Historisch gesehen wurden Beutegreifer – wie der Name bereits vermuten lässt – als Beutekonkurrenten betrachtet. Gelegentlich wird immer noch von „Raubwild“ oder „Raubsäugern“ gesprochen - im Gegensatz zum „Friedwild“ wie Reh oder Rebhuhn. Friedwild soll nach herkömmlicher Anschauung wesentlich dem jagenden Menschen vorbehalten bleiben.
Der ÖJV sieht dagegen kleine oder große Beutegreifer als wichtigen Teil der natürlichen Artenvielfalt. Da in der Regel eine jagdliche Nutzung ausgeschlossen ist, geht es dem ÖJV in erster Linie darum, Konfliktfälle mit anderen Landnutzern (z.B. Weidetierhalter bei Wolfsvorkommen, Gefährdung von Menschen durch große Beutegreifer) zu minimieren und mit Betroffenen und den verantwortlichen staatlichen Stellen geeignete Lösungen zu finden.
Einerseits wirft die Wiederkehr der großen Beutegreifer wie Luchs, Wolf oder Braunbären vielerlei Fragen und Probleme auf. Andererseits ist deren Rückkehr zu begrüßen, weil damit die Ausrottung korrigiert und mit den lange fehlenden Spitzenprädatoren das Zusammenspiel in der Natur komplettiert wird. So tragen große Beutegreifer dazu bei, andere Wildtiere, vor allem Schalenwild „fit“ zu halten und fragewürdige Massenansammlungen zu verringern. Dass es dabei zu Problemen kommt, ist in einer Kulturlandschaft unausweichlich. Damit aber das erneute Zurückdrängen der großen Beutegreifer zu begründen, greift zu kurz. Es gilt hingegen diese Probleme möglichst gut zu managen.
Daraus ergibt sich auch für große Beutegreifer die anstehende Aufgabe Wissen zu vermitteln und Rahmenbedingungen zu schaffen. Je besser die Gesellschaft und natürlich die direkt Betroffenen sich mit diesen auskennen, desto eher wird es gelingen, kritische Problemfälle zu minimieren. Hier haben der Staat und die Fachverbände, sprich Biologen und Naturschutzverbände, eine wichtige Aufgabe zu erfüllen.
Gerade in der urbanen Gesellschaft fehlt einerseits oftmals ein realistisches Verständnis von „Natur“, die immer wieder einseitige gesehen (ständig lauernder Tod, „Fressen und Gefressen werden“ werden ignoriert) und romantisch verklärt („Bambi-Mentalität“) wird. Gerade für die großen Beutegreifern kommt viel Zustimmung aus dem urbanen Raum.
Demgegenüber sehen die direkt Betroffenen, vor allem Weidetierhalter, im ländlichen Bereich die Thematik differenzierter und ausgeglichener, manchmal auch einseitig zugespitzter (Bild vom „bösen“ Wolf). Aber man kann leicht für den Wolf sein, wenn man keine gefährdeten Schafe auf der Weide stehen hat.
Nachdem wir Jahrhunderte lang keine großen Beutegreifer hatten, ist das Nebeneinander von Mensch und großen Beutegreifern abhandengekommen. In vielen Ländern Osteuropas, wo es z.B. immer Wölfe und Bären gegeben hat, ist das Bewusstsein für dieses Nebeneinander nie verloren gegangen. Ob wir einzelne rigorose Züge aus diesen Räumen übernehmen sollen, sei dahingestellt. Aber ein realistischer Bewusstseinsprozess auf dem Hintergrund des Natur- und Artenschutzverständnisses des 21. Jahrhunderts muss wohl wieder zum Leben erweckt werden.
Günstiger Erhaltungszustand
Vor allem aufgrund der zunehmenden Verarmung unserer Natur und Umwelt entstand Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts der Naturschutzgedanke, der sich in den heute gültigen Normen und Gesetzen, sei es national oder EU-weit niedergeschlagen hat. Ein zentrales Kriterium beim Schutz von und dem Eingreifen bei Wildtieren ist der „günstige Erhaltungszustand“. Man will über dieses Instrument bestehende Arten schützen und verlorengegangene bei der Rückkehr unterstützen. Vorgaben des „günstigen Erhaltungszustandes“ werden von Fachleuten auf wissenschaftlicher Basis erstellt. Das ist auch der Rahmen für die großen Beutegreifer. Ein solcher Rahmen lässt sich kleinstaatlich nicht willkürlich übergehen und außer Kraft setzen, muss aber immer wieder auf fachlicher Basis überprüft und angepasst werden.
In Bezug auf die Bären (Braunbären) kann man die Frage des Erhaltungszustandes schnell und klar beantworten: Nachdem es abgesehen von ganz wenigen Ausnahmen in Deutschland keine Bären gibt, ist deren Erhaltungszustand maximal „ungünstig“. Beim Wolf scheiden sich die Geister. Zumindest in Bayern mit offiziell 23 registrierten Wölfen kann diese Frage klar mit „ungünstig“ beantwortet werden.
Egal auf welcher Seite man steht, Befürworter oder Gegner, steht und fällt damit der Umgang mit den großen Beutegreifern. Ist der Erhaltungszustand noch nicht „günstig“, bleibt nur der Weg der Schadensabwehr, Schadensverhinderung z.B. durch Schutzmaßnehmen oder der Lenkung (z.B. durch Vergrämung). Sollen letale Maßnahmen zur Begrenzung der Populationen angewendet werden, muss der Erhaltungszustand „günstig“ sein.
Gesondert betrachten muss man die Gefährdung von Menschenleben. Der Schutz von Menschen steht in unsere Kultur weit vor dem Schutz von Tieren. Wenn im aktuellen Geschehen ein Menschenleben gerettet werden kann, kann jedes Tier getötet werden. Das gilt grundsätzlich. Komplizierter wird es aber, wie präventiv gehandelt werden sollte, bzw. kann. So starben in den letzten Jahren in Deutschland jährlich im Schnitt 3,3 Menschen an Hundebissen. Im akuten Fall wird niemand gegen das Töten des jeweiligen Hundes sein, um das Menschenleben zu retten. Aber niemand fordert deshalb die Abschaffung aller Hunde, sondern verweist auf einen fach- und artgerechten Umgang mit diesen, so dass Hundebisse oder gar letale Angriffe nach Möglichkeit vermieden werden. Das Gleiche gilt für die großen Beutegreifer.
Ein einfaches Beispiel: In vielen amerikanischen Nationalparks gibt es eine hohe Bärendichte. Wer einen solchen Nationalpark besucht, muss damit leben. Er wird überleben, wenn er einfache Verhaltensweisen, wie laut reden, singen, pfeifen, also auf sich aufmerksam machen, befolgt. Denn dann werden die Bären kaum überrascht, aggressiv und damit gefährlich.
Sollte es zur Bedrohung von Menschen kommen, muss es schnelle und einfache Möglichkeiten der letalen Entnahme geben. Dass Problemwölfe getötet werden können, bestreitet wohl niemand. Offen ist, was man unter einem Problemwolf versteht. Um diese Definition muss gerungen werden.
Weidetiere
Viel schwieriger ist die Problemlage, wenn es um Weidetiere geht. Selbstverständlich müssen diese geschützt werden, weil sie einen materiellen Wert darstellen, den es zu schützen gilt, weil Weidetierhalter eine emotionale Beziehung zu ihren Tieren haben, weil wir diese Weidetiere z.B. zur Pflege und zum Erhalt von Almen oder Naturschutzflächen und der dort beheimateten pflanzlichen und tierischen Arten brauchen. Wenn unsere Gesellschaft die Wiederkehr der großen Beutegreifer will, muss sie, bzw. der Staat, die Rahmenbedingungen dafür fördern. Dazu gehören die finanzielle Unterstützung der Weidetierhalter zum Schutz ihrer Herden (Zäune, Herdenschutzhunde, …) und der Ausgleich bei Verlust von getöteten Tieren. Entschädigungen sind gut und wichtig, man darf aber nicht vergessen, dass die Weidetierhalter wie Haustierbesitzer oft auch eine Beziehung zu ihren Tieren aufgebaut haben und das gerissene oder ihnen verletzte Tiere dann emotional nahe gehen.
Wenn der Schutz von Weidetieren mancherorts nicht möglich ist (sog. nicht schützbare Gebiete, z.B. im Gebirge), dann ist guter Rat teuer. Bislang gibt es dafür keine überzeugende Lösung. Naive Vorschläge wie die Einrichtung „wolfsfreier Gebiete“ scheitern allein schon an der fehlenden Umsetzbarkeit. Denn extrem weit laufende Einzelwölfe, die man weder sieht noch hört, kann man weder präventiv noch nach einem Riss entnehmen. Der Abschuss von sichtbaren Wölfen in ganz anderen Settings löst diesbezüglich überhaupt nichts.
Fazit
Große Beutegreifer wie der Wolf sind in Deutschland da und haben national und EU-bedingt derzeit einen hohen Schutzstatus. Selbst wenn dieser gelockert wird, - was durchaus realistisch werden kann – wird in Zukunft immer ein Grundbestand von Wölfen da sein und damit die Aufgabe, Weidetiere zu schützen. Folglich werden der Herdenschutz und ein überlegter Umgang bei der Begegnung mit großen Beutegreifern in Zukunft eine unumgängliche Daueraufgabe sein. Ungeachtet der Entnahme von Problemwölfen oder -bären, wird das neben der Entnahme einzelner Beutegreifer als gesellschaftliche Hauptaufgabe bleiben.
Die letztendliche Entscheidung in dieser Sache liegt weder bei Jagd- oder Naturschutzverbänden, Weidetierhaltern oder bei der Landespolitik, sondern einzig und allein auf politischer Ebene in Berlin und Brüssel. Dort drückt man sich offensichtlich vor dieser Entscheidung.
Dr. Wolfgang Kornder
(1.Vorsitzender ÖJV Bayern, 3. Mai 2023)