Von Florian Preis (Gründer der Ruhrschäferei), Ökojagd 1 - 2021
Polarisierung
Die Diskussion über Wölfe wird von der Pro- wie der Kontraseite mit hoher Emotionalität geführt. Offenbar wird der Wolf einerseits zum Auslöser von eher idyllischen Vorstellungen einer Natur, deren ausbalancierte Harmonie sich so in der Wirklichkeit nicht finden lässt, andererseits von tiefliegenden Ängsten vor dem Fremden oder Fremdgewordenen, die Bestandteil einer kulturellen Tradition sind, in der die Natur der Feind ist, den es zu bekämpfen gilt.
Diese Ängste, die durchaus nicht alle unberechtigt sind, werden z. T. politisch instrumentalisiert mit einer alarmistischen Bedrohungsdramaturgie mit nächtlichen Wolfswachen am Feuer oder durch AfD-Abgeordnete, die im Rahmen der Bundestagsdebatte über die Weidetierprämie behaupten: „Das
deutsche Volk wird zur Zeit mit zwei Großexperimenten überzogen. Das eine sind die Flüchtlinge, das andere sind die Wölfe.“ Das delegitimiert nicht alle Bedenken gegen die Rückkehr der Wölfe, aber man sollte wissen, wann und von wem man bei der Inszenierung von Angstpolitik benutzt wird. Wir schließen uns der Auffassung des Landesschafzuchtverbandes NRW an, dass es bei der Diskussion nicht hilfreich
ist, wissenschaftliche Ergebnisse und Labor Untersuchungen europaweit anerkannter Institute unter generellen Falsch- und Fälschungsverdacht zu stellen. Das im Internet für jeden transparente Monitoring des LANUV ist eine sinnvollere Gesprächsgrundlage als Gerüchte, die als irrlichternde fake news in den sozialen Medien einer heillos überbordenden Phantasie Tür und Tor öffnen.
Facing reality
Die Schäfer in Deutschland haben zahlreiche Probleme, die dazu geführt haben, dass viele ihren Beruf an den Nagel gehängt haben. Der Wolf ist zweifellos ein Problem mehr. Unsere Begeisterung über seine Wiederkehr hält sich deswegen auch in Grenzen. Aber man soll nicht so tun, als ob der Wolf das Hauptproblem der Schäfer ist. Das ist er leider nicht, sondern das besteht in einer Agrarpolitik, die mit viel Geld und einer an ökologischer Qualität desinteressierten Tonnenideologie die falschen Schwerpunkte setzt, die Falschen fördert und mit dem falschen Versprechen „Wachsen oder weichen“ weiterhin Betriebe in den Untergang treibt.
Die andauernde Grundsatzdiskussion über den Wolf halten wir inzwischen für müßig. Vielleicht hätte man sie vor 25 Jahren noch ergebnisoffen führen können, aber jetzt ist der Wolf da und er wird bleiben und das darüber andauernde Lamento ist so hilfreich wie die Klage über schlechtes Wetter. Die Zeit und
Energie für diese Diskussion kann man sich insofern sparen. Sie sollte sinnvoller der pragmatischen Frage gewidmet werden, wie praktische Schritte zur Koexistenz von Wolf und Weidetierhaltung zu organisieren sind. Zwar wurde mit der jüngst erfolgten Änderung des Naturschutzgesetzes der Versuch gemacht, unter dem aktuellen Vorwand Wolf den in Deutschland erreichten Stand des Artenschutzes insgesamt zurückzudrehen und nicht nur den Abschuss von Biber, Fischotter, Graureiher, Kormoran
oder Kranich, sondern bei Gefährdung wirtschaftlicher Interessen prinzipiell aller geschützten Arten zu erleichtern. Dennoch wird der Wolf weiterhin unter starkem gesetzlichen Schutz stehen.
Wer dagegen auf kriminelle Methoden setzt – erschießen, Tellereisen, vergiften – verbunden mit der launigen Wildererparole „Schießen – Schaufeln – Schweigen“ – wird die Ausbreitung des Wolfes in Deutschland nicht verhindern. Er muss sich aber auf eine auf dem Hintergrund der gesellschaftlichen
Diskussion sicher nicht toleranter werdende Strafjustiz einstellen. Und die in Frankreich von radikalen Wolfsgegnern geforderte Bewaffnung der Schäfer wird es in Deutschland sicher nicht geben.
Schafe – Ruhrnatur – Menschen
Die Ruhrschäferei wurde 2013 von Florian Preis gegründet und zieht heute mit 250 Mutter-schafen, d.h. von Lammzeit zu Lammzeit mit einer Herde von ca. 500 Merino- und Schwarzkopfschafen, durch die Städte des westlichen Ruhrgebiets im Einzugsgebiet von Rhein, Ruhr und Emscher.
Sie beweidet in den Sommermonaten ökologisch aufzuwertende Biotopflächen sowie Industriebrachen der ehemaligen Montanindustrie.
Entgegen der landläufigen Wahrnehmung wiesen diese z.T. schon in den vergangenen Zeiten von Kohle und Stahl eine größere Biodiversität auf,
als manches überdüngte Maisfeld im idyllischen Münsterland. Die Schäferei beteiligt sich damit am breit angelegten Projekt der Renaturierung der ehemaligen Industrieregion. Im Winter beweidet die Herde Flächen der landwirtschaftlichen Betriebe, die im Flächenpatchwork der Region seit eh und je und weiterhin vorhanden sind. Große zusammenhängende Waldgebiete am Nordrand des Reviers waren eine Voraussetzung dafür, dass es vor einigen Jahren erste Fotos von einem Wolf auf der Rheindeichkrone im Duisburger Norden gab. Sie lieferten ein sinnfälliges, wenn auch unerwartetes Bild dafür, dass die Region sich schneller veränderte, als das Bild, das viele von ihr hatten.
Die Ruhrschäferei will, neben ihrem Beitrag zur Renaturierung der Region, mit ethisch vertretbarer artgerechter Tierhaltung regionale Lebensmittel im Ballungsraum für den Ballungsraum herstellen. Außerdem will sie u.a. mit einer – zur Zeit coronabedingt ruhenden – Lernschäferei und einem inzwischen herangewachsenen Kreis von schäfereiinteressierten Stadtbewohnern dazu beitragen, die wachsende kulturelle Distanz zwischen Stadt und Land zu vermindern. Ein Instrument dazu sind auch Schafpatenschaften, bei denen Menschen für 100,- Euro per Urkunde attestierte Patenschaften
für ein Lamm übernehmen, zu Patenfesten am Stall eingeladen werden oder die Herde beim Zug von Fläche zu Fläche begleiten, was in der Metropolregion Ruhrgebiet sowohl mit besonderem Reiz, als auch mit besonderen Herausforderungen verbunden ist.
(Fotos © Ruhrschäferei)
Paradigmenwechsel
Die Wiederkehr des Wolfes ist Ausdruck eines weiter andauernden grundlegenden Wandels in Politik und Gesellschaft im Umgang mit der Natur. Es geht darum, zur Erhaltung der gefährdeten Biodiversität umzusteuern vom Krieg gegen die Natur, dessen Kollateralschäden zunehmend auch den Menschen treffen, zu einer nachhaltigen Koexistenz der Lebensformen. Dieser Kurswechsel, der möglicherweise zu langsam erfolgt, ist unumkehrbar.
Moderne Konzepte von Naturschutz gehen davon aus, dass insbesondere die Wiederkehr großer Arten von Pflanzen- und Fleischfressern nicht nur additiv einem bestehenden Ökosystem eine weitere Art hinzufügt, sondern dass diese eine gestaltende und stabilisierende Rückkoppelung mit dem Gesamtsystem entwickeln. Die Rückkehr der Wölfe in den Yellowstone-Nationalpark bewirkte u.a. eine Standortveränderung der Hirschpopulation und eine Vegetationsaufwertung entlang der Wasserläufe. Beim Schutz des natürlichen Waldaufwuchses vor selektivem Fressverhalten des Schalenwildes und bei der Begrenzung des Wildschweinbestandes auf dem Hintergrund von beträchtlichen Flurschäden und Afrikanischer Schweinepest ist der Wolf nicht Problem, sondern Bündnispartner. Von diesem Paradigmenwechsel, der keineswegs abgeschlossen ist, haben auch die Schäfer profitiert. Ein wachsender, wenn auch gemessen an ihrem Beitrag zur Erhaltung der natürlichen Grundlagen noch zu geringer Teil ihres Einkommens stammt im Rahmen des Vertragsnaturschutzes aus Maßnahmen und Projekten zu Landschaftspflege und Artenschutz. Den Wolf von diesem auf Stabilisierung und Aufwertung von Biotopen und Ökosystemen orientierten Artenschutz auszunehmen ist widersinnig und macht die Beteiligung an diesen Projekten sowie die Projekte selbst unglaubwürdig. Naturschutzverbände, Umweltbehörden, ökologisch orientierte Jagdverbände und Schäfer sind deswegen keine Gegner, sondern prinzipiell Kooperationspartner, auch wenn dabei immer wieder Konflikte auszuhandeln sein werden. [...]
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