Von Frank Christian Heute und Dirk Bieker
Auszug aus der Ökojagd 2-2021:
[...] Natürliche Waldgesellschaften
Unter „natürliche Waldgesellschaften“ verstehen wir Wälder, deren Pflanzenarten sich seit dem Atlantikum in typischer Weise auf den jeweiligen Standorten ausgebildet haben (Ursprüngliche
natürliche Vegetation (UNV)). Es bezieht sich zunächst auf eine möglichst vollständige Artenausstattung und typische Zusammensetzung, nicht auf strukturelle Elemente wie Altersaufbau oder
Schichtung bzw. den Ablauf bestimmter Prozesse (kein „Urwald“) (Vgl. Meyer 2012). Je näher die heutige Vegetation der UNV hinsichtlich der Artenzusammensetzung kommt, desto „naturnäher“ ist der
Wald zu bewerten (vgl. Kowarik 2016). Im Gegensatz dazu beschreibt die potentielle natürliche Vegetation (PNV) diejenige Pflanzengesellschaft (rein hypothetisch), die sich unter den gegenwärtigen
Standortbedingungen schlagartig einstellen würde, wenn der Mensch nicht mehr eingriffe.
Aufgrund veränderter Standortbedingungen und eines erweiterten Artenpools bedeutet das für viele Wälder, dass sich hier auch Arten etablieren (könnten), die nicht autochthon sind. Zum Beispiel:
Auf einer geräumten Kyrillfläche eines Hainsimsen-Buchenwald-Standorts läuft seit 2007 ungestörte Sukzession. Auf der Fläche (mit geringer Rehwilddichte) wachsen heute 18 verschieden Arten,
darunter Nadelgehölze und Gartenflüchtlinge (Reale Vegetation (RV)) (Heute 2017). Wie naturnah diese Wälder bzw. Waldentwicklungsstadien sind, entscheiden neben dem Strukturreichtum auch der
Anteil autochthoner Arten. Ob sich hier wieder ein Hainsimsen-Buchenwald einstellen würde, oder ob sich (mittelfristig) ein artenreicherer Mischwald mit Nadelgehölzen und Gartenflüchtlingen
durchsetzen wird – das kann nur die Langzeitbeobachtung zeigen. [...]
Fazit
Die Entwicklung der natürlichen Waldgesellschaften mit einer vollständigen Ausprägung des dazugehörigen Artenspektrums kann nur erfolgen, wenn die Bestände des wiederkäuenden Schalenwilds auf ein
verträgliches Maß reduziert oder durch wilddichte Zäune ausgeschlossen werden. Das verträgliche Maß darf sich ausschließlich darüber definieren, ob eine natürliche Verjüngung aller Baumarten in
hoher Stückzahl möglich ist.
Das Ziel Nordrhein-Westfalens, auf 16.000 Hektar natürliche „Urwälder von morgen“ zu entwickeln und gleichzeitig die Wälder an den zu erwartenden Klimawandel anzupassen, ist illusorisch, solange
die Wälder an einer kompletten Verjüngung gehindert werden. Bei fortbestehendem Verbissdruck durch Schalenwild werden ganze Generationen von Verjüngungsjahrgängen dem Wild geopfert. Solange die
Schalenwildbestände nicht an den Lebensraum angepasst sind, werden die letzten Reste unserer natürlichen Wälder von Rehen und Hirschen durch Entmischung schleichend in ihrer Artenzusammensetzung
verändert und verarmt. Wenn man die negative Entwicklung verschiedener Baumarten (Esche, Ulme) in den letzten Jahrzehnten beobachtet, wird jedoch deutlich, dass es sich hierbei nicht um ein
Luxusproblem des Naturschutzes handelt. Gesundheit und Fortbestand unserer Wälder sind von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung und werden durch Verbiss und Entmischung negativ beeinträchtigt. Die
Tragweite dieses negativen Einflusses lässt sich nicht in letzter Konsequenz abschätzen. Es ist jedoch unzweifelhaft, dass dadurch sowohl die Resistenz als auch die Resilienz der Wälder
nachteilig beeinflusst werden. Um großflächige Gatterungen zu vermeiden, muss sich die Jagd den geänderten Anforderungen stellen und zielorientierte Jagdkonzepte in den Revieren – bzw.
Wildmanagementkonzepte in Schutzgebieten – konsequent umsetzen. Die Konzepte müssen sich dabei an den (wenigen) bewährten Strategien der erfolgreichen Betriebe bzw. Reviere orientieren.
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