Von Carsten Krinke, Ökojagd 1 - 2021
Nach dem Studium der Forstwissenschaften an der Georg-August-Universität Göttingen mit Schwerpunkt Ökologie und Referendariat in Rheinland-Pfalz mit Stationen am FoA Lahnstein und der damaligen Bezirksregierung Neustadt a.d. Weinstraße war der Autor bis 2000 Forstsach- verständiger. Nach einem parallelen Studium der Verwaltungswissenschaften ist er seitdem in der Management- und IT-Beratung der öffentlichen Verwaltung tätig.
„Wir können feststellen: Alle Versuche, umweltpolitische Fragen global zu lösen, scheitern daran, dass nationale Regierungen dies in ihren Ländern nicht glaubwürdig umsetzen.“ (Friedmann &
Welzer).
Ich möchte diesen Beitrag als Weckruf für die deutschen Forstleute formulieren. Er erhebt nicht den Anspruch, den sehr hohen wissenschaftlichen Maßstäben der ÖKOJAGD gerecht zu werden, sondern
ist eine Meinungsäußerung. Der Autor hat vor mehr als 20 Jahren den Wald beruflich, aber nie privat hinter sich gelassen. Dennoch soll der Beitrag eine Diskussion unter Forstleuten, Jagenden und
Waldbesitzern in Gang setzen.
Auch von der ÖKOJAGD erwarte ich eine deutlich breitere und vor allem (forst-)politische Diskussion.
Man liest wieder „ab und zu“ etwas über das Waldsterben. Erinnerungen an die 80er Jahre werden wach. Der aktuelle Begriff Waldsterben „2.0“ wurde vermutlich vom Bund für Umwelt und Naturschutz
Deutschland (BUND) geprägt. Zur aktiven Rolle der Umweltverbände später mehr.
Die ÖKOJAGD greift sowohl im Editorial von Elisabeth Emmert (z. B. ÖKOJAGD 02/2020) und thematisch den Klimawandel auf (z. B. Burkhard Nass in ÖKOJAGD 04/2020).
Enttäuschend für den forstlichen Leser ist, dass oft „nur“ der Bogen zur Wald-Wild-Problematik gezogen wird. So schließt der an sich sehr zu begrüßende Artikel von B. Nass mit: Die einzige Gegenmaßnahme ist die kurz- und mittelfristige Entwicklung gemischter Wälder – die ökologische Jagd ist der Schlüssel zum Erfolg. Ist es wirklich die „einzige“ Gegenmaßnahme? Ergeben wir uns dem fortschreitenden Klimawandel, wohl wissend, dass wir noch kein stabiles Klimaszenario erreicht haben?
Emmert zitiert in obigem Editorial Prof. Dr. Michael Müller, der von der schwerwiegendsten Waldschadenssituation seit Beginn der nachhaltigen Waldbewirtschaftung spricht. Ist die rein jagdliche und waldbauliche Sicht ggf. eine verkürzte, ja ggf. für das Ökosystem Wald sogar fatale Sicht? Die Verantwortlichen in den Betrieben müssen weitaus systemischer das Problem des Waldsterbens durch den Klimawandel betrachten, als es allein auf das Wald-Wild-Problem einzuengen. Nass (04/2020) warnt berechtigt gerade mit Blick auf das „verborgene Geschehen“ im Boden als wichtigstem Fundament des Waldwachstums. Die natürliche Artenzusammensetzung, die Biozönose ist ein weiterer wesentlicher Aspekt. Aber auch Aspekte der Forstpolitik, der aktiven Politikeinmischung sollen noch eine wichtige Rolle spielen.
Wir alle haben gelernt, dass Waldwirtschaft ein Generationenvertrag ist, dem Nachhaltigkeits- prinzip folgend. Doch wenn der Wald in wenigen, extrem trockenen und heißen Sommern wie 2018 bis 2020
dahinstirbt, müssen wir erkennen, dass ein Wandel auf das Ökosystem Wald trifft, der dieses sichtbar überfordert, auch den naturgemäß bewirtschafteten Wald. Vielleicht zeigen sich in Letzterem
erste und nur vereinzelt sterbende Buchen (siehe ÖKOJAGD 04/2020 zu 100 Jahre Dauerwald), doch was passiert auch hier, wenn die nächsten 1-2 Jahre erneut Jahrhundertsommer folgen?
Der „Wald“ kam bislang evolutionär und im Rahmen der Veränderung der Baumartenzusammen- setzung mit relativ „homöopathischen“ Veränderungen durchaus gut zurecht. Die letzten drei Jahre zeigen aber eine dramatisch schnelle Entwicklung, die die Landwirtschaft durch Wechsel der Arten und Sorten halbwegs kompensieren kann, dennoch auch vor große Probleme gestellt wird. Wir stehen nunmehr unter sterbenden 120-jährigen Rotbuchen und Eichen in durchaus gut strukturierten Wäldern, weit ab vom Altersklassenwald.
Die Begründung gemischter Waldbestände ist gerade mit Blick auf die nun vermehrt entstandenen Kahl(schlags)flächen (siehe z. B. im Sauerland oder Harz) aufgrund der dort herrschenden
Umweltbedingungen eine große Herausforderung (Vergrasung, Brombeere, Nährstoffein-/austrag).
Wie soll das Ökosystem Wald, trotz regulierter Wildbestände, derart schnell auf diese Veränderungen reagieren, die Entwicklung gemischter Wälder v. a. mit trockenresistenteren Arten erfolgen?
Ammer et al. fordern den Aufbau gemischter Bestände und die Berücksichtigung trockenresistenter Arten. Im Sauerland folgen Fichte und Eberesche auf Fichte und ja sicherlich auch wegen der
Wald-Wild-Problematik. Die einzelstammweise Nutzung, um richtigerweise gute Licht- und Boden- sowie Verjüngungsbedingungen zu sichern, versagt beim flächigen Ausfall der Fichte. Mikroklima und
Feldkapazität wandeln sich schlagartig. Schwere Maschinen fahren durch die Wälder und hinterlassen große Kahl(schlags)flächen. Hier soll weder der klassischen Jagd noch der Fichtenwirtschaft das
Wort geredet werden. Die Ursachen für die Fichtenbestände sind historisch zu betrachten, der verfehlte/unterlassene Umbau ist ein kritischer Aspekt, den wir Forstleute uns zumindest teilweise
anlasten müssen (s. a. H. Pöhnl, 2012; T. Faltin, 2019).
Der Autor versucht seit Jahren mühsam die Weißtanne auszubringen, folgt den Hinweisen von dem hier oft berechtigt zitierten Wolf Hockenjos. Doch die Weißtanne verdorrt auf den Flächen trotz eines
noch halbwegs intakten Schirms, geschützt vor Wildverbiss (s. a. Sächsische Landesanstalt für
Forsten). Ob wir weiterhin auf die Naturverjüngung von Buche, Eiche oder Tanne hoffen und nicht zunehmend auf Traubeneiche, Flaumeiche, Sommerlinde, Esskastanie, Elsbeere, Schwarzkiefer (siehe
Klimahüllen, Kölling/LWF Bayern) etc. setzen können bzw. müssen, das wird bei den Klimaszenarien des Deutschen Wetterdienstes (DWD, Klimaatlas) und des IPCC unter Beachtung der Perzentile immer
fraglicher.
In meiner Waldbauprüfung 1997 (Referendariat) wäre ich mit Sicherheit durchgefallen, wenn ich mir im Taunus ernstlich Gedanken um die Esskastanie gemacht hätte. Letztes Jahr haben wir sie dort mit Schülern gepflanzt. Hätten wir vielleicht besser nicht den Bericht des Club of Rome aus dem Jahr 1972 belächelt, der uns damals genug Zeit gegeben hätte, auf die hier erstmals deutlich gemachten Veränderungen waldbaulich, aber eben auch forstpolitisch, zu reagieren?
Blicken wir zurück auf das Waldsterben, das in den 80er Jahren gipfelte, nennen wir es nun modern wie eine Softwareversion „1.0“. Gipfelte es wirklich damals (Spektrum, 2017)? Wir erinnern uns,
wie verhalten zunächst Forstleute reagierten. Dieses Waldsterben war vor allem eine Herausforderung der Industrienationen Europas. Schon früh gab es erste Hinweise, die weit davor datieren. Es
wurde bereits sehr früh im vorletzten Jahrhundert von Rauchschäden berichtet (Hockenjos). Bei ihm ist im Buch „Tannenbäume“ nachzulesen, dass einem bayerischen Forstreferendar seine Überlegungen
und Ansichten zu der beobachteten Kronenverlichtung der Fichte 1979 fast zum Verhängnis wurden. Der Göttinger Bodenkundler Prof. Dr. Bernhard Ulrich wird heute im FOCUS zitiert und kritisiert.
„Die ersten großen Wälder werden schon in den nächsten fünf Jahren sterben. Sie sind nicht mehr zu retten“, so Ulrich 1981 im „Hamburger Abendblatt“. Conclusio des FOCUS: Er lag falsch! Fatale
Schlussfolgerung des FOCUS: Übertragung auf die heutige Situation, erneute Panikmache!
Wo bleibt der forstliche Widerhall, kapitulieren wir vor dem Klimawandel? Ich kann nur hoffen, dass sich der „Erfolg“ der 80er Jahre wiederholt, nur glauben mag ich es nicht. Wir allen wissen,
dass Prof. Dr. Ulrich nicht wirklich falsch lag. In der Folge wurde von Komplexerkrankungen
berichtet. Die Waldschadensberichte sind Praxis geworden. War es aber nicht u. a. sein Weckruf, der z. B. den Spiegel damals zu einem emotionalen, in Forstkreisen belächelten Beitrag motivierte?
Ist heute vergessen, welche Bewegung endlich, getragen vor allem von heute erneut von vielen Forstleuten gescholtenen Umweltverbänden, in Gang kam. Der FOCUS stellt zumindest fest, dass der
öffentliche Druck so stark wurde, dass die Politik reagieren musste.
Jedem, der damals forstlich tätig war, sind die Unmengen an Kalk noch bewusst, die Lkw und Hubschrauber in und über den deutschen Wäldern ausbrachten. Es kamen unter der damaligen Regierung unter
Bundeskanzler Kohl die Novellen der TA-Luft, die Einführung des Katalysators bei Pkw und viele weitere Innovationen. Und wir erinnern uns: auch damals wurde der Untergang der Wirtschaft, der
Untergang der deutschen Automobilindustrie und der Anstieg der Arbeitslosenquote beschworen, „wenn all diese viel zu scharfen Maßnahmen“ in die Tat umgesetzt würden. Schlägt man heute den FOCUS,
das Handelsblatt, die FAZ auf, stellt sich dem Leser die Frage, ob die Artikel der 80er Jahre kopiert werden. Was wirklich kam, war ein Innovationsschub, auch für die deutsche Automobilindustrie.
Es waren die von manchen Forstleuten oft wenig respektvoll behandelten Umweltverbände, die sich für den deutschen Wald engagierten. Robin Wood entstand 1982 aus einer Absplitterung von
Greenpeace. Der eine oder andere erinnert sich noch an den Aufkleber: „Freiwillig Tempo 100 – Dem Wald zuliebe“. Greenpeace, die Waldjugend („Wir sind sauer“) starteten Kampagnen gegen das
Waldsterben. Greenpeace „besetzte“ Schornsteine, heute auch wieder. Der damalige Bundesverkehrsminister verbat waldbesitzenden Kommunen diese Tempo-100-Schilder aufzustellen. Vor allem
Umweltverbände gingen auf die Straße und engagierten sich für „unsere“ Wälder. Eine weitere Parallele: Damals wie heute bedurfte es des Aufbegehrens gegen eine scheinbar übermächtige Energie- und
Automobilindustrie.
Heute leben mehr Menschen von der Holz- und Forstwirtschaft (1,1 Mio. Beschäftigte mit 180 Mrd. € Umsatz) als von der Automobilindustrie (880.000 Beschäftigte / je nach Quelle 264/400 Mrd. €
Umsatz) (Quellen: DESTATIS, BpB, Wikipedia).
Ganz am Rande: Heute ist dieser Tempo-100-Aufkleber aktueller denn je und man sieht ihn wieder auf Pkw. Und heute: Die Stuttgarter Zeitung zitiert Prof. Pierre Ibisch (Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde): „Vor wenigen Jahren noch tönten sehr viele Forstakteure, dem Wald gehe es so gut wie lange nicht“ und „Warnungen vor Risiken wollte man nicht hören.“
Die Fachhochschule Westfalen stellt anlässlich ihres Wald- und Bodensymposiums fest, dass „heute Berichte über den Waldzustand kaum mehr eine Schlagzeile wert sind.“
Das war einmal ganz anders. Denken wir also zurück an die 1980er Jahre, als die Menschen
in Deutschland für »ihren Wald« auf die Straße gingen. Ob allein die Jagd es richten kann, das sei angezweifelt. Nass (ÖKOJAGD 04/2020) nennt es das „Waldsterben von unten“.
Wie beim Klimawandel im Großen, agieren hier im Kleinen die unterschiedlichsten Protagonisten gegeneinander. Über diesen Konflikt berichtet die ÖKOJAGD nun seit vielen Jahren in jeder Ausgabe.
Doch was erreichen wir? Das neue Bundesjagdgesetz wurde intensiv und sehr kritisch an gleicher Stelle erörtert (ÖKOJAGD 04/2020). Die Realität holt uns schnell ein mit Aufforstungen oder
Gatterung.
Wenn die Waldbesitzer und Betriebsverantwortlichen den Mut für die natürliche Sukzession besitzen, die Wald-Wild-Problematik im Griff haben und uns der nächste Extremregen nach langer Dürrephase
auf einer größeren Schadfläche nicht den humosen Oberboden zu Tale spült, werden wir vielleicht dennoch am Ende vor ganz anderen Problemen stehen, trotz naturgemäßer Waldwirtschaft und
ökologischer Jagd (s. a. Henning).
Welche Geschwindigkeiten trauen wir u. a. Eiche, Buche und Tanne im Rahmen natürlicher Anpassungs- und Sukzessionsprozesse zu oder setzen wir besser rechtzeitig auf Flaumeiche, Sommerlinde, Feldulme, Elsbeere, Schwarzkiefer (s. a. Klimahüllen LWF Bayern)?
Es gibt erste Diskussionen zu Arten wie Abies cephalonica (Griechische Tanne). Nass (ÖKOJAGD 04/2020) merkt an, dass es die Buche in Brandenburg ggf. künftig schwer haben und die notwendige
Wiederbewaldung eine bisher unbekannte Herausforderung wird.
Vielleicht begehen wir dieses Mal nicht wieder den Fehler und lassen v. a. junge Menschen alleine für den Wald, ihre Zukunft und gegen den Klimawandel demonstrieren. Nun heißen die Organisationen
„Fridays for Future“, „Plant Trees for the Planet“ neben den weiterhin etablierten Umweltverbänden wie NABU, BUND, Greenpeace etc.
Der Autor wohnte im Jahr 2019 und 2020 mehreren Waldführungen bei, führte viele Gespräche mit Forstleuten und fragte, warum nur einige wenige Förster den Mut besitzen, im Fernsehen für Ihren Wald zu sprechen und ganz aktiv einen Wechsel in der Klimapolitik von der Politik einfordern und nicht nur ihr professionelles Forstmanagement präsentieren(*).
Es wird auf das Beamtenrecht mit den „hergebrachten Grundsätzen“ und besonderen Pflichten und
Rechten verwiesen. Doch Art. 5 des GG gilt auch für Beamte!
Wiederholt sich also wieder Geschichte? Ich hoffe nicht, denn dieses Mal werden Millionen Tonnen
Kalk unsere Wälder nicht retten. Es wurden schon Tanklöschfahrzeuge und Gülle-Transporter in Wäldern gesichtet, die ähnlich wie damals Kalk nun Wasser ausbringen. Hinterlassen wir den
Wald den nachfolgenden Generationen nicht in einem nur kranken, (ÖKOJAGD 02/2020, S. 5), sondern eher desolaten Zustand?
Akzeptieren wir den Klimawandel nicht als gegeben, auf den wir uns vielleicht waldbaulich und jagdlich ausrichten können!
„Die liberale Demokratie beruht auf der Idee, dass die Zukunft besser sein kann als die Gegenwart (Friedmann & Welzer).“ Tragen wir Waldbesitzer, Forstleute und Jäger zu einer besseren
Zukunft, dem Erhalt der Natur, des Ökosystems Wald und damit unserer Demokratie bei – „Freiheit bedingt Verantwortung“ (Lesch). Unterstützen wir aktiv die Menschen, die eine politische
Kehrtwende einfordern! Die Zeit ist vielleicht trotz COVID-19 besser denn je, in der die USA wieder dem Klimaabkommen von Paris beitreten. Dann können wir uns vielleicht doch noch im Jahr
2050 an der natürlich verjüngten Weißtanne in einem Laub-Nadelmischwald ganz nach den Prinzipien der ANW oder einem Holzhaus aus einheimischen Hölzern erfreuen. Noch ist es dafür nicht zu
spät.
(Hinweise zu Quellenangaben im Originalbeitrag - Download)