Horst Stern war eine kritische Stimme, ein Mahner, einer, der die Finger in die Wunden legte. In seinen Beiträgen prangerte er die Massentierhaltung an, wandte sich gegen Tierversuche,
kritisierte einen überzogenen Tourismus, mahnte zu einem verantwortungsvolleren Umgang mit der Natur. 1975 war er Mitbegründer des BUND, um dem Natur- und Umweltschutz eine starke Stimme zu
geben. 1984 zog er sich aus dieser öffentlichen Arbeit zurück.
Für den ÖJV war Horst Stern der vielleicht wichtigste Wegbereiter. Nicht nur dass er bei der Gründung des ÖJV an seiner Wiege stand. Wahrscheinlich viel wichtiger war seine „Sterns Stunde –
Bemerkungen über den Rothirsch“ an Weihnachten 1971. Epochemachend seine damaligen Eingangsworte: „Sie hören richtig, meine Damen und Herren. Es ist nicht dringlich zur Zeit, den Hirsch zu
schonen. Es ist dringlich an der Zeit, ihn zu schießen.“ Das war der Auftakt einer neuen, nicht nur jagdlichen Epoche.
Sterns-Stunde am Heiligen Abend 1971
Noch während der Sendung überschlugen sich die Anrufe. Morddrohungen folgten.
Mit seiner Sendung zum Rothirsch brach er das überkommende Monopol einer trophäenorientierten Jagd, lenkte den Blick auf die überhöhten Schalenwildbestände, die ihren Lebensraum kaputt machten.
Die bislang geschickte getarnte oder als ganz normal empfundene Überhege des trophäentragenden Schalenwildes ohne Rücksicht auf Verluste stand urplötzlich als kritisiertes Thema in der
Öffentlichkeit.
Allen Widerständen zum Trotz setze sich diese neue Denke durch – zumindest teilweise. 1986 wurde das Forstliche Gutachten in Bayern eingeführt. Das Zählen von Schalenwild, bisher Grundlage für
die Abschüsse, wurde damit eingestellt. Der Zustand des Lebensraumes sollte das neue Kriterium sein, damit verbissgefährdete Baumarten wie die Tanne und Eiche endlich wieder ohne Schutzmaßnahmen
wachsen können. Das war ein Paradigmenwechsel. 2005 hielt der bis heute intensiv bekämpfte Grundsatz „Wald vor Wild“ Einzug ins Waldgesetz.
Viele griffen diese neue Sicht der Dinge auf, aber ebenso viele stemmten sich mit allen Mitteln dagegen und unterliefen und unterlaufen bis heute diese richtungsweisende Ausrichtung. Auch wenn so
manches erreicht wurde: Nach der letzten Erhebung des Forstlichen Gutachtens im Bayern im Jahr 2018 erfüllen nach amtlicher Statistik 47% der Bayerischen Hegeringe den geforderten Anspruch nicht.
Und rückwärtsgewandte Kräfte, einzelne politische Parteien, Verbände, Politiker und Funktionäre versuchen auch 2019 das Rad sogar zurück zu drehen.
Geburtsstunde des ÖJV Bayern
Weihnachten 1971 platze mit Sterns „Bemerkungen über den Rothirsch“ eine Bombe, die vieles in Bewegung setzte. Und nachdem die seit der NS-Zeit uniform organisierte bayerische Jägerschaft keine
Anstalten machte mitzuziehen, wurde im Beisein Sterns am 3. Nov. 1988 im Münchner Hofbräuhaus der ÖJV Bayern gegründet. Richard Plochmann, Professor für Forstpolitik, der schon seit 1971 eng mit
Stern zusammenarbeitete, wurde zum ersten Vorsitzenden gewählt. Eine neue jagdliche Stimme war geboren. Namhafte Persönlichkeiten standen ihm zur Seite: Dr. Georg Sperber, Dr. Hans Bibelriether,
Prof. Dr. Wolf Schröder, Prof. Dr. Peter Burschel ….
Leider verstarb Prof. Plochmann viel zu früh am 26. April 1991 und die junge jagdliche Bewegung geriet ins Stocken, wenn auch Prof. Dr. Ulrich Ammer und nach ihm Prof. Dr. Fredo Rittershofer den
Vorsitz engagiert führten.
48 Jahre nach den Bemerkungen über den Rothirsch
48 Jahre nach Sterns „Bemerkungen über den Rothirsch“ existieren Stiftungen, die diese damals kritisierten Zustände geradezu wiederbeleben wollen, finden sich in Deutschland Wissenschaftler, die
dem Schalenwild, aber nicht dem Wald das Wort reden, sind neben dem am Wald wenig interessierten Bayerischen Landesjagdverband Verbände entstanden, die sich jagdlich noch mehr dem nostalgischen
Traditionalismus verpflichtet fühlen, kämpfen anerkannte Naturschutzverbände für das aus ihrer Sicht angeblich vor dem Aus stehende Schalenwild. Und neben dem Waidgerechtigkeitsgetue wird der
Tierschutz gegen eine waldfreundliche Jagd instrumentalisiert. Und der Wald wird zur romantischen Sozialstation verklärt.
48 Jahre nach Sterns „Bemerkungen zum Rothirsch“ macht der Klimawandel nicht nur dem Wald gewaltig zu schaffen. Lange Trockenperioden, Jahrhundertsommer oder nie dagewesene Starkregen lassen Wald
und Feld vertrocknen, überschwemmen ganze Dörfer und Stadtteile, gefährden Siedlungen und Menschen. Und trotzdem gibt es die ewig Gestrigen, die unbeeindruckt von überalterten Schutzwäldern, von
Lawinen und Hochwassern „ihrem“ Wild - besser „ihrem Schalenwild“ - den Vorrang vor dem Lebensraum geben. Und die Jäger und Jägerinnen werden mehr und geben sich der Life-style-Jagd hin,
die leider keine Probleme löst, sondern sie eher verstärkt.
Die Zäune mit einer Länge von München bis Peking sind weniger geworden, aber die Verbissschutzhüllen, heute beschönigend „Wuchshüllen“ genannt, stehen dafür überall und geben unseren Wäldern den
makabren Anstrich von Soldatenfriedhöfen. Und nicht nur in Mittelfranken ist auch der Brotbaum, die Fichte, arg in Bedrängnis und die Kiefer geht gerade den gleichen Weg.
Es scheint sich fast die düstere Mahnung zu bestätigen, mit der Horst Stern 2008 sein Grußwort zum 20-jährigen Jubiläum des ÖJV Bayern abschloss, nämlich zu handeln, „bevor es zu spät ist“.
Während auf der einen Seite kräftig zurückgerudert wurde und wird, haben sich Kräfte auf der anderen Seite etabliert, die den im Klimawandel dringend nötigen Waldumbau vorantreiben, die den Wald
besser auf den Klimawandel vorbereiten, die dem gefährdeten Schutzwald unter die Arme greifen, die sich vehement für die Verlängerung der Schonzeitaufhebung im Schutzwald einsetzen. Sie
haben erkannt, dass der dringend nötige Waldumbau ohne angepasste Schalenwildbestände nicht möglich ist. Und so vieles auch im Argen liegt, kann nicht übersehen werden, dass der Laubholzanteil in
Bayern zunimmt, dass dort, wo man es will, gemischte, klimastabilere Wälder wachsen und gedeihen, dass es Bereiche gibt, wo neben dem Wild auch der Lebensraum zu seinem Recht kommt. Dass moderne
Naturschutzverbände umfassend auch für den Wald eintreten, dass sich eine Öko-Partei zur zweitstärksten Partei Bayerns gemausert hat, dass trotz aller Widerstände der kleine ÖJV Bayern, die
Keimzelle aller ÖJV-Verbände, mit seinen nunmehr 1000 Mitgliedern etwas zu sagen hat, gehört wird und kräftig mitmischt.
Die Saat von Horst Stern ist aufgegangen. Und auch wenn noch vieles unerledigt ist, machen wir weiter und hoffen, dass es noch nicht „zu spät ist“.
Sterns programmatische Worte von Weihnachten 1971 gelten bis heute: „Sie hören richtig, meine Damen und Herren. Es ist nicht dringlich zur Zeit, den Hirsch zu schonen. Es ist dringlich an der
Zeit, ihn zu schießen.“ Und heute müsste er das Reh und die Gams noch dazu nennen.
Dr. Wolfgang Kornder
(Seit 1999 Vorsitzender des ÖJV Bayern)